Ein Beitrag von Hannes Swoboda, Präsident des Austrian Chapter des Club of Rome

Über Jahrzehnte nach dem 2. Weltkrieg wurde an einer neuen Weltordnung gebastelt. Im Zentrum standen die Vereinten Nationen mit vielen Unter- und Schwesterorganisationen. Parallel dazu gab es verschiedene Abrüstungsabkommen, vor allem zwischen den Großmächten USA und Sowjetunion/Russland. Und Europa hat einen noch nie dagewesene Einigungsprozess in Gang gesetzt – parallel zur Dekolonisierung. All diese politischen Entscheidungen und Maßnahmen wurden von einer Ausdehnung der globalen Handelsbeziehungen begleitet. Schritt um Schritt schien diese umfassende Globalisierung zu einer regelbasierten und friedlichen Welt zu führen.

Die Verwundbarkeit der Globalisierung

Diese Entwicklung hat ein weltumspannendes Netzwerk erzeugt. So meinte der in Indien geborene Politikwissenschaftler Parag Khanna unlängst in Die Zeit: „Die Globalisierung hat sich zu einer tieferen Ordnung entwickelt. Sie ermächtigt immer mehr Knotenpunkte – Staaten, Städte, Unternehmungen – zu kooperieren.“

Allerdings war diese Globalisierung bis vor kurzem auch eng mit der Vorherrschaft der USA verbunden. Diese begann mit dem Eingreifen der Amerikaner in den ersten Weltkrieg und dem Einfluss von US Präsident Wilson auf die Friedensschlüsse danach. Verstärkt wurde dieser Einfluss im und nach dem Zweiten Weltkrieg und dann kurzfristig mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

Diese Vormachtstellung der USA war keineswegs immer positiv, denken wir an die vielen Fälle ungerechtfertigter politischer und militärischer Eingriffe. Die Zeiten haben sich allerdings geändert. Durch den vor allem wirtschaftlichen Vormarsch Chinas wurde und wird die globale Rolle der USA wesentlich geschwächt. Damit stellt sich die wichtige Frage, wie wir mit den globalen Herausforderungen in dieser neuen multipolaren oder für manche chaotischen Situation umgehen.

Unbeschadet der Tatsache, dass auch diese sich nach 1945 herausbildende neue Weltordnung nicht alle Konflikte und Kriege verhindern konnte, sind wir seit etwa 15 Jahren mit neuen globalen Herausforderungen konfrontiert. Die Globalisierung ist verwundbarer als manche dachten. Die Finanzkrise von 2008 hat die Fragilität des globalen Finanzsystems belegt. Die in den letzten Jahren sich ausbreitende Corona Epidemie hat die Mängel der globalen Gesundheitsversorgung deutlich gemacht. Und der Ukraine Krieg hat neben seinen vielen Toten, den unmittelbaren Zerstörungen und Verwüstungen auch weltweit die ohnedies prekäre Lebensmittelversorgung noch verschlechtert.

All diese Krisen haben die Ärmsten am meisten betroffen. Und zwar innerhalb jedes einzelnen Landes aber auch generell haben die Folgen dieser Krisen und Konflikte den globalen Süden in der Entwicklung zurückgeworfen.

Armut und Hunger steigen wieder

Es sind die wirtschaftlichen Auswirkungen der globalen Finanzkrise und der Corona Epidemie die zu einer erhöhten Armut geführt haben. In Folge des Ukraine Kriegs haben dieselben Armen mit stark gestiegenen Preisen für Lebensmittel zu rechnen – soweit diese überhaupt ausreichend verfügbar sind. Die Bauern in diesen Ländern sind von stark gestiegenen Preisen für Düngemittel betroffen, was letztendlich wieder zu mehr Armut und Hunger führt.

Heute sind annähernd 800 Millionen Menschen unterernährt; davon etwa 425 Millionen in Asien und 278 in Afrika. Wenn man bedenkt, dass die größten asiatischen Hungerkatastrophen in Afghanistan und Nordkorea zu finden sind, dann sieht man allerdings auch(!) den Einfluss des politischen Mismanagement auf die Ernährungssicherheit. Aber auch in Ländern wie Sri Lanka und Madagascar wo derzeit eine große Hungersnot herrscht sind die politischen Verhältnisse mitbeteiligt. Und das gilt selbstverständlich auch für Äthiopien wo der Bürgerkrieg zur Hungerkatastrophe beiträgt. Wir müssen also von einer Wechselwirkung zwischen „natürlichen“ und politischen Faktoren ausgehen und wir brauchen eine globale Ordnung, die auf beides einwirken kann.

Der Klimawandel

Die größte Herausforderung an die globale Welt(un)ordnung stellt sicher die Klimaveränderung dar. Gerade diesen Sommer spüren alle Regionen der Welt die Folgen des Klimawandels. Auch die Menschen im Norden bekommen die Erderwärmung und ihre Folgen zu spüren. Aber die Klimaveränderungen im globalen Süden wirken sich unmittelbar auf die Ernährungslage und die Armut der Bewohner aus. Die zusätzliche Erwärmung in ohnedies heißen und oft feuchten Regionen wird auch gravierende Auswirkungen auf die Lebensdauer bzw. Sterblichkeit der Menschen in diesen Regionen haben. Jedenfalls wird die Erderwärmung auch zu einer Verringerung der Arbeitsproduktivität beitragen und das kann arme Länder noch ärmer machen.

Insgesamt wird sich der Anteil der Menschen die in Zonen mit einer Durchschnittstemperatur von mehr als 29 Grad leben, deutlich erhöhen. Leben heute ca. 30 Millionen Menschen in diesen Regionen, so werden es nach Berechnungen von ExpertInnen in fünfzig Jahren mehr als 2 Milliarden sein. Dabei müssen wir immer bedenken, dass die Verursacher der Klimaveränderungen primär in den reicheren, industrialisierten Länder zu finden sind, die Auswirkungen aber vor allem die ärmeren Regionen betreffen. Nur gemeinsame globale Anstrengungen können die Auswirkungen der Klimaveränderungen bremsen und verringern.

Das heißt nicht, dass nationale und regionale Maßnahmen nutzlos sind. Mit Recht kann US Präsident Biden stolz darauf sein, dass er sein großes Klima- und Investitionspaket im US Kongress durchgebracht hat. Auch wenn nicht alle Maßnahmen eindeutig den Weg nach vorne weisen. So kann die Unterstützung für das Einfangen und die Lagerung von CO2 auch zu einer verstärkten Nutzung von fossilen Brennstoffen führen. Insgesamt aber bedeutet das US Programm einen „Dienst an der Menschheit“ wie es manche US Kommentare ausgedrückt haben.

Auch die Europäische Union hat schon seit längerem umfassende klimapolitische Programme beschlossen und wichtige Maßnahmen gesetzt. Allerdings werden durch die russische Aggression neue Rahmenbedingungen geschaffen. Zwar wird die Transformation in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaneutralität sicher verstärkt werden – jedenfalls langfristig. Aber die durch die Reduzierung der russischen Gaslieferungen entstehende Energieknappheit wird auch zu einer Verstärkung des Einsatzes von nicht- nachhaltigen Energien führen.

Jedenfalls stehen zumindest kurzfristige die Sorgen um die Energieversorgung in Europa selbst im Mittelpunkt der politischen Überlegungen. Das kann auch einigen Ländern des globalen Südens, nämlich jenen die über Energieressourcen verfügen zu Gute kommen. Aber damit wird noch kein Schritt in Richtung einer globalen Klimapolitik und vor allem zur Unterstützung der Energiewende im globalen Süden gemacht.

Die Transformation unserer Gesellschaften in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaneutralität darf nicht aus den Augen verloren werden- auch wenn in einer Übergangsperiode andere Schwerpunkte gesetzt werden müssen. 

Notwendigkeit einer globalen Klimapolitik

Eine starke Verknüpfung zwischen der Energiewende im globalen Norden insbesondere in der EU und dem globalen Süden besteht über die Rohstoffversorgung. Wichtige Rohstoffe – nicht zuletzt für die Herstellung von Batterien z.B. für die E-Mobilität- finden sich in umfangreicher Menge nur im globalen Süden – und in China. Das betrifft zum Beispiel Kupfer, Nickel, Kobalt, seltene Erden, Lithium etc.

Zwar gibt es auch in Europa einige Fundstellen für diese Ressourcen, aber der Widerstand der eigenen Bevölkerung ist zu groß, um die ohnedies geringen Reserven voll auszuschöpfen. In letzter Zeit haben wir diesen Widerstand von Serbien bis Portugal verspürt. Und jüngst gab es Proteste gegen den geplanten „Cluster für Elektromobilität“ in Caceres in Spanien mit dem Slogan: „Nein zur Mine! Ja zum Leben!“

Auch wenn die Investoren, die die europäischen Projekte verfolgten, darunter auch chinesische, oftmals sehr unsensibel vorgingen, so machen der inner-europäische Widerstand und die globale Ressourcenverteilung klar, dass die europäische Energiewende ohne eine Versorgung mit Rohstoffen aus anderen Ländern im Rahmen einer vernünftigen globalen Ressourcenstrategie nicht möglich ist.

Energiesparen ist notwendig genügt aber nicht. Auch bezüglich der Wasserstofferzeugung brauchen wir eine globale Rohstoffkooperation vor allem hinsichtlich Skandium, Iridium und Platin. Die deutsche Energieexpertin Kirstin Wetsphal schlussfolgerte kürzlich im „Handelsblatt“: „Will die neue Welt dem Klimaziel nahekommen, gibt es eine unabdingbare Voraussetzung: internationale Zusammenarbeit in bisher nicht gekanntem Ausmaß.“ Sie spricht dann auch von einer „fast kopernikanischen Wende zurück zum Atlantik- und Mittelmeerraum sowie nach Afrika.“

Mit der europäischen Vergangenheit des Kolonialismus und dem Blick in die Zukunft sollte gerade die E.U. die Chance einer solchen „kopernikanischen Wende“ nutzen. Wir sollten vor allem dem afrikanischen Kontinent durch eine faire Kooperation in Sachen Rohstoffgewinnung und Energiewende helfen, einen deutlichen Entwicklungssprung in Richtung nachhaltiger Entwicklung zu machen. Und dabei auch auf eine geregelte und zum Teil zirkuläre Migration setzen.

Die von der EU Kommission entwickelte Strategien, wie zum Beispiel „Global Gateway“ sind diesbezüglich ein Anfang aber müssten noch verstärkt werden. Jedenfalls kann die Energiewende nicht ohne eine vernünftig gestaltete Globalisierung funktionieren. Die Internationale Energieagentur geht in ihrem „Energy Outlook 2021“ davon aus, dass sich der Anteil von Wasserstoff und kritischen Mineralien am energierelevanten Handel zumindest von derzeit 13% auf 25% im Jahre 2050 erhöhen wird. Für die Erreichung des Null Emissionsszenario wäre sogar eine Erhöhung des Anteils auf 80% notwendig.

Mit oder ohne China

Wichtig wäre dabei eine Politik der mit den Ressourcenländern abgestimmten und gemeinsamen Gewinnung der Rohstoffe bei der allgemein anerkannte soziale und ökologische Normen eingehalten werden. Für viele – so auch Kirstin Westphal – geht es dabei auch um die Unabhängigkeit von China. Sicher lehrt uns der Krieg Russlands gegen die Ukraine, dass einseitige Abhängigkeiten vor allem von großen Ländern mit expansionistischen Zielen vermieden werden sollte. Aber angesichts der Ressourcen in China scheint das jedenfalls kurzfristig eine Illusion.

Für eine sinnvolle Strategie der Diversifizierung würde man angesichts der geografischen Aufteilung der Ressourcen die wir für die europäische und globale Energiewende brauchen, auch China miteinbeziehen. Dabei geht es sicherlich auch darum, die Versorgung so zu diversifizieren, dass im Falle von Krisen katastrophale Konsequenzen vermieden werden können.

Klimapolitik muss global betrieben werden soll sie erfolgreich sein. Ottmar Edenhofer vom Potsdam – Institut für Klimafolgenforschung meint dazu: „Die Anpassung an den unvermeidbaren Klimawandel kann nur in einer einigermaßen geordneten Welt des Multilateralismus funktionieren, ebenso wie die Vermeidung von Emissionen.“ Insbesondere da – so Edenhofer – auf Grund des „galoppierenden Klimawandels“ die „Möglichkeiten der Anpassung und Vermeidung verschmelzen“, bedarf es raschen und gemeinsamen Handelns aller globaler Akteure.

Kann es aber eine solche angesichts der globalen Spannungen überhaupt geben? Mit Russland ist dies auf absehbare Zeit – jedenfalls so lange der Krieg gegen die Ukraine dauert – nicht möglich. Inzwischen befindet sich aber auch der Konflikt der USA mit China auf einen neuen Höhepunkt. Und zumindest offiziell hat China die Kooperation mit den USA bezüglich der Klimapolitik unterbrochen. Es wäre fatal würde daraus ein Dauerzustand werden oder es sogar zu einem Krieg zwischen diesen beiden Weltmächten kommen.

Es wäre für unsere unmittelbare Sicherheit aber vor allem auch für die dringend notwendige Klimapolitik eine Katastrophe, würde es zu einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den USA und China kommen. Daher sollten alle Beteiligten versuchen, den Konflikt im pazifischen Raum nicht zu schüren sondern sich auf die wesentlichen Herausforderungen der heutigen Zeit, den Klimawandel und die Armutsbekämpfung zu konzentrieren. In diesem Sinn sollte vor allem die EU aktive werden. 

Es spricht nichts dagegen die eignen Ressourcen in Europa, in seinen Mitgliedsländern und den Regionen zu nutzen. Aber wie wir gesehen haben, ist hier oftmals mit Widerstand zu rechnen. Und außerdem muss uns klar sein, dass sowohl eine effiziente Klimapolitik als auch die Bekämpfung der weltweit wieder wachsenden Armut nur global erfolgen kann. Vor allem die reicheren Länder wie die EU Mitgliedstaaten sind dazu aufgerufen ihren Beitrag dazu zu leisten. Dabei geht es nicht um mehr oder weniger Globalisierung sondern um eine bewusste und verantwortungsvolle Gestaltung der globalen Verhältnisse.