von Hannes Swoboda


Fünf zentrale Kehrtwenden 

Der jüngste Bericht an den Club of Rome heißt „Earth for All“ also „Erde für Alle“. Der Titel drückt gleich aus, worum es geht. Wir brauchen eine Erde, an der alle gleichermaßen teilnehmen können bzw. auf der sich alle wohlfühlen und sich entwickeln können. Und dazu gehört natürlich, dass diese unsere Erde auch weiterhin in ihrer Vielfalt Bestand hat und lebenswerte Bedingungen aufweist – und zwar auf allen Kontinenten. 

Die Autor:innen des Berichts machen klar, dass dazu entscheidende Kehrtwendungen im Rahmen eines Riesensprungs nach vorne (Great Leap) vorzunehmen sind. Wir sind aber – wie auch die Autor:innen des letzten World Energy Outlooks feststellen – auf einem Pfad des „too little – too late“; also unsere Maßnahmen sind zu wenig und kommen zu spät. Zu spät heißt in diesem Zusammenhang, sie verhindern nicht, dass das Pariser Klimaziel von maximal 1,5 Grad Erderwärmung überschritten wird. Wir bewegen uns eher in Richtung von 2,3 Grad Erderwärmung. Und dies hat insbesondere in südlichen Regionen katastrophale Folgewirkungen, die unter anderem zu erhöhten Wanderungsbewegungen führen. 

Die fünf notwendigen Kehrtwenden des jüngsten Berichts an den Club of Rome sind die „Beendigung der Armut“, die „Beseitigung der eklatanten Ungleichheit“, die „Ermächtigung der Frauen“, der „Aufbau eines für Menschen und Ökosysteme gesunden Nahrungsmittelsystems“ und der „Übergang zum Einsatz sauberer Energie“. Wenn man diese Kehrtwenden näher betrachtet, dann wird einem klar, dass es dabei um radikale bzw. disruptive Veränderungen unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems geht. Dazu meinen die Autor:innen des Berichts: „Unsere Analyse zeigt klar und deutlich, dass sich im kommenden Jahrzehnt die schnellste wirtschaftliche Transformation der Geschichte vollziehen muss.“

Der deutsche Soziologe Sighard Neckel meint dazu in seinem Artikel „Das Dilemma der sozial-ökologischen Gleichzeitigkeit“ (Merkur, November 2023): „Im Zeitalter des Anthropozäns sind die Ursachen der globalen Erwärmung so umfassend und vielschichtig mit menschlichen Aktivitäten verwoben, dass kaum eine Handlungssphäre vom schnellen Veränderungsdruck ausgenommen werden kann.“ Und er schließt die rhetorische Frage an: „Wann sind moderne Gesellschaften je in einer vergleichbaren Situation gewesen, in der von den Regeln des Wirtschaftens über die technische Infrastruktur bis zum persönlichen Lebensstil alles auf einmal zur Disposition steht?“ Dabei geht es vor allem auch um ein radikal neu definiertes Verhältnis zur Natur. Sie ist nicht mehr nur ein disponibler Rohstoff im Dienste der Menschheit.

Energie als Angelpunkt der Klimapolitik

Wie oben erwähnt erfordert die Transformation unseres Gesellschafts- und Wirtschaftssystems fünf Kehrtwenden. Eine, die uns unmittelbar als besonders dringend einfällt, ist sicherlich die Energiewende. Sie steht schon einige Jahre im Fokus des politischen Geschehens, nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Haben wir aus der starken und zum Teil einseitigen Abhängigkeit von Russland gelernt? Haben wir uns mit genügend Elan in Richtung eines nachhaltigen Energiesystems bewegt? 

Der jüngste World Energy Outlook geht davon aus, dass wir bereits jetzt einen Temperaturanstieg von 1,2 Prozent über dem vorindustriellen Niveau haben. Und die Maßnahmen, die weltweit ergriffen werden, entsprechen dem Konzept „too little – too late“. Allerdings noch ist es möglich eine Strategie zu fahren, die das 1,5 Grad Ziel erreicht. Aber dazu bedarf es erhöhte Anstrengungen. Vor allem bedarf es vermehrte Investitionen in die Solar- und Windenergie. Da ist viel geschehen und zum Teil sind die Erwartungen übertroffen worden, aber noch wird nicht genug in den Ausbau von Solaranlagen und in das Aufstellen von Windrädern investiert. 

Erhöhung der Speicherkapazität 

Aber es geht nicht nur um die Investitionen in die Produktion von Strom aus Wind- und Sonne. Entscheidend notwendig ist auch der Ausbau der Netze und von Anlagen, vor allem Batterien, in denen der Strom gespeichert werden kann. Denn gerade die alternative Energieproduktion erzeugt nicht immer dann Strom wenn er gebraucht wird – und umgekehrt. 

Batterien sind ein entscheidender Faktor, um ein tragfähiges System alternativer Energieversorgung aufzubauen und aufrecht zu erhalten. Nach derzeitigem Stand der Technologien benötigt man dazu – und auch für die Solarzellen und die Windräder selbst – viele seltene Erden und nicht überall vorhandene Metalle. Die entsprechenden Minen für Kupfer, Kobalt, Lithium, Nickel, Silizium etc. und noch mehr die Raffinerierung und Verarbeitung dieser Rohstoffe ist stark konzentriert, insbesondere in China. China hat sich auch in den letzten Jahrzehnten einen ungeheuren Wettbewerbsvorteil in Bezug auf die Gewinnung, Aufbereitung und Verarbeitung der kritischen Materialien verschafft. Damit kommt aber die Geopolitik ins Spiel. Vor allem die Auseinandersetzungen zwischen den USA und China, aber auch zwischen China und der Europäischen Union machen die Versorgungslage unsicher. Geopolitische Spannungen gefährden die Versorgung mit diesen Rohstoffen, insbesondere für die Länder der Europäischen Union. Mühsam müssen sie sich um den Aufbau der entsprechenden Kapazitäten bemühen. 

Die direkte Versorgung mit diesen kritischen Rohstoffen und der Ausbau entsprechender Verarbeitungsanlagen innerhalb der Europäischen Union nimmt jedenfalls viel Zeit in Anspruch. Aber auch insgesamt gibt es – auf Grund der globalen Unsicherheiten – zu wenig Investitionen in die Gewinnung und Verarbeitung dieser wichtigen Rohstoffe. 

Parallel muss aber sicherlich die Forschung zur Entwicklung alternativer Speichermöglichkeiten vorangetrieben werden. Hinzu müssen verstärkte Anstrengungen zum Recycling der Batterien kommen. Nur wenn es hier Fortschritte gibt, kann es zu der angestrebten Elektrifizierung unseres Lebens kommen. 

Die kritische Lage bezüglich Batterien betrifft natürlich vor allem auch die Elektromobilität. Auch hier zeigt sich eine positive Entwicklung weg vom Verbrenner und hin zum Elektroauto. Allerdings ist die geringe Reichweite – auf Grund der geringen Speicherkapazität – noch immer ein Hindernis für den notwendigen verstärkten Ausbau der Elektromobilität. 

Stärkerer Rückhalt aus der Bevölkerung 

Die Energietransformation bedarf aber auch ausreichend qualifizierter Arbeitskräfte. Wir benötigen überdies auch genug Flächen für Solarpanels und Windräder und beschleunigte Verfahren für die Genehmigung der entsprechenden Anlagen. Vor allem aber brauchen wir die Unterstützung der Bevölkerung. Für verstärkte Maßnahmen im Rahmen der Energiewende ist ein starker Rückhalt aus der Bevölkerung notwendig. 

Die Energiewende führt sicherlich zu höheren Energiepreisen – auch als Anreiz zum Energiesparen. In Zeiten aber einer ohnedies hohen Inflation ist die Akzeptanz steigender Energiepreise eher als gering einzuschätzen. Wir sehen ja schon einen rückläufigen Trend bei der Akzeptanz der klimapolitischen Maßnahmen.  Ein Grund mehr die Inflation zu bekämpfen, um den Spielraum für die Maßnahmen der Energiewende zu erhöhen.  

Globale Verantwortung 

All diese Herausforderungen betreffen uns im relativ reichen Europa. Aber es ist noch viel mehr relevant für die Energiewende in den ärmeren Ländern. Viele Menschen in diesen Ländern haben überhaupt noch keinen (regelmäßigen) Zugang zu Energie, vor allem zu elektrischer Energie. Stabile Energiesysteme befinden sich oftmals erst im Aufbau. Und im Interesse des Klimas sollte dies auf Grundlage nachhaltiger Stromerzeugung passieren. 

Dazu sind aber große Summen notwendig, die diese Länder selbst nicht aufbringen können. Vor allem angesichts des derzeitig hohen Zinsniveaus und der hohen Verschuldung sind diese Länder oftmals überfordert, den Ausbau der Energieversorgung klimapolitisch korrekt und sozial gerecht zu unternehmen. Die bisherigen Zusagen der Unterstützung seitens der reichen Länder reichen keineswegs, um die dringendsten Anliegen einer solchen Politik umzusetzen und nicht einmal diese unzureichenden Versprechungen wurden eingehalten. 

Es ist wichtig die eigenen Anstrengungen auf europäischer und nationaler Ebene im Zusammenhang mit den globalen Entwicklungen zu sehen. Es stimmt, dass was immer wir in Europa und erst recht in Österreich unternehmen, nur eine geringe Auswirkung auf die globale Energie- und Klimasituation hat. Aber wir müssen uns als Teil einer globalen Strategie sehen. Wir müssen unserer Verantwortung gerecht werden für all das, was wir schon an klimapolitischen Fußabdruck auf dieser Welt hinterlassen haben. Dazu gehört auch jenen zu helfen die darunter leiden, obwohl sie wenig zu den schädlichen Emissionen geleistet haben. Und sicher gehören auch ernsthafte Überlegungen hinzu, ob und wie man einen Teil dieser in der Atmosphäre vorhandenen CO2 Belastungen einfangen und sicher lagern kann. 

Ist das Pariser Ziel noch zu retten?

Der jüngste World Energy Outlook kommt jedenfalls zu folgender Schlussfolgerung: „Eine Verdreifachung der Kapazität der nachhaltigen Energieerzeugung, eine Verdopplung der Anstrengungen zur Effizienzsteigerung in Richtung von 4% pro Jahr sowie die Anhebung der Elektrifizierung und die drastische Reduzierung des Ausstoßes von Methangas aus fossilen Energieträgern würden 80% der Verringerung jener Emissionen bewirken, die für die Erreichung des 1,5 Grad Pfades im Jahr 2030 notwendig ist. Weiters braucht es innovative und großzügige Finanzierungsmodelle zur Unterstützung sauberer Energieerzeugung in den Entwicklungsländern aber auch einen starken Rückgang der Verwendung fossiler Energieträger und keine neuen Genehmigungen für Kohlekraftwerke.“ Dann kommen noch Maßnahmen hinzu, die durch eine gerechte Verteilung der Kosten und Lasten für eine starke Unterstützung durch die Bevölkerung sorgen. Nur unter diesen Voraussetzungen kann realistischer Weise das 1,5 Grad Ziel erreicht werden.  

Und die Europäische Union? 

Soweit die globale Situation, die uns hoffen lässt, das Pariser Klimaziel zu erreichen, wenngleich der dafür notwendige Entwicklungspfad noch nicht in Sicht ist. Ähnlich ist die Lage in und für die Europäische Union. Da wurden die klimapolitischen Ziele sogar in den letzten Jahren erhöht und die Maßnahmen verschärft. So wurde beschlossen auch die Bereiche Verkehr und Gebäude in ein Emissionshandelssystem einzubeziehen und es wurde auch ein CO2 Grenzausgleichsmechanismus eingeführt, der in Zukunft jene Importe belasten soll, die im Land der Erzeugung nicht unter vergleichbaren Emissionsregelungen produziert wurden. Das könnte zu einer globalen Verstärkung der klimapolitischen Anstrengungen führen. Allerdings ist dieser Mechanismus global umstritten und wird von vielen Handelspartnern bekämpft – vor allem im Rahmen der Welthandelsorganisation. 

Bei aller Anhebung der klimapolitischen Ziele und Verschärfung der Maßnahmen im Rahmen des „Green Deals“ und des „Fit for 55“ Pakets machen sich auch innerhalb der Europäischen Union Tendenzen bemerkbar, die hohen Zielsetzungen abzuschwächen – nicht zuletzt im Hinblick auf die nächstes Jahr stattfindenden Wahlen zum Europäischen Parlament. 

Aber angesichts der Tatsache, dass der nach Covid eingesetzte Wirtschaftsaufschwung keineswegs so „grün“ erfolgte wie gehofft und dass besonders der Verkehrssektor hinter den notwendigen CO2 Reduktionen zurückbleibt, sollte es zu keiner Verringerung der klimapolitischen Anstrengungen kommen. Es bleibt ohnedies noch viel zu tun, um im Sektor der Industrie und der Bauwirtschaft zu einer Energiewende zu kommen, die einen wichtigen Beitrag zur Emissionsreduzierung leistet aber gleichzeitig den langfristigen Erhalt des Industriestandortes Europa sicherstellt. 

Was bringt die COP 28? 

In wenigen Wochen findet die COP28 in Dubai statt. Das, was die Energieexpert:innen erwarten, hat der World Energy Outlook definiert – siehe oben. Nur unter diesen Bedingungen kann das Pariser Klimaziel erreicht werden. Die COP28 müsste also deutliche Akzente setzen. Die Vereinigten Emirate sind selbst allerdings viel zurückhaltender. Sie wollen zwar auch die Energiewende, vor allem, weil sie wissen, dass sie unvermeidlich ist. Aber sie wollen sie langsamer erreichen und sie setzen länger auf die Verwendung fossiler Brennstoffe als es mit der Erreichung des Klimaziels vereinbar ist. 

Es ist nachvollziehbar, dass einige Produzenten fossiler Energien auf der Bremse stehen. Es ist verständlich, dass Länder, die in einem Entwicklungsprozess in Richtung mittleres Einkommensniveau stehen und über Kohle bzw. Erdgas verfügen, diese auch für ihre weitere Entwicklung verwenden wollen. Man kann von ihnen nicht verlangen, dass sie allein die Kosten des Übergangs weg von diesen Ressourcen schultern. Das oftmals gepriesene Finanzierungsübereinkommen mit Südafrika ist jedenfalls nicht ausreichend und mangelt an der Umsetzung. Hier sind die reichen Länder in die Pflicht zu nehmen. Und zwar nicht nur hinsichtlich der Versprechungen, sondern auch der tatsächlichen Zahlungen. 

Entscheidend ist aber auch inwiefern es gelingt, trotz der globalen Spannungen, ein Minimum an Kooperation zwischen den hauptsächlichen Akteuren zu erreichen. Dabei ist vor allem China zu erwähnen. Einerseits hat es sich eine starke Position in und für die Energiewende verschafft. Anderseits ist die Energiewende in China selbst von entscheidender Bedeutung für die Erreichung der Klimaziele. Die Spannungen zwischen China einerseits und den USA anderseits – und in geringerem Ausmaß mit der EU könnten zu wesentlichen Verzögerungen bei der Umsetzung der klimapolitischen Maßnahmen führen. Verantwortungsvolle Politiker:innen sollten daher im Interesse der Klimapolitik vielmehr auf Kooperation anstatt auf Konfrontation setzen.