8. August 2023, von Dr. Hannes Swoboda (Präsident des Club of Rome – Austrian Chapter)

Auch die diesjährige Biennale in Venedig beschäftigte sich dem Bauen angesichts der Klimakatastrophe und der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten. Aber diesmal steht nicht so sehr das Bauen selbst im Mittelpunkt, sondern die gesellschaftlichen Voraussetzungen und die Konsequenzen des Bauens. Fast hätte der letzte Bericht an den Club of Rome Pate stehen können! Statt „Earth for All“ könnte man der Biennale die Überschrift „Housing for All“ oder „Decent Living for All“ geben! 

De-Kolonialisierung 

Angesichts der Kuratorin mit europäischen und afrikanischen Wurzeln, Lesley Lokko, ist es nicht verwunderlich, dass die Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus eine große Rolle spielt. Die mit dem – kapitalistischen – Kolonialismus einhergehende Ausbeutung von Menschen und Natur hat viele traditionelle Lebensgrundlagen zerstört und die Kolonialländer und dort wieder besonders eine spezielle Schicht von Eigentümer:innen und Handelstreibenden bereichert. In einem eindrucksvollen Video werden die kapitalistische “Modernisierung“ des „belgischen“ Kongo, die Brandrodungen und die großen Vorteile der Ausbeutung und Verarbeitung der Bodenschätze gezeigt. Man könnte fast den Eindruck bekommen, der Kolonialismus diente nur der Zähmung bzw. der Entwicklung der „primitiven“ Bevölkerung und der wildwüchsigen Landschaft. 

In Wirklichkeit jedoch wurde die globale Ungleichheit extrem erhöht. Auch in den Kolonialländer selbst steigerte sich die Ungleichheit, wenngleich ein Teil der breiten Schichten von der Ausbeutung in den Kolonien profitierte. Und genau diese – wenn auch begrenzte – Teilhabe an den Früchten des Kolonialismus erweckte immer schon und erst recht heute großen Widerstand gegen Änderungen der globalen Ungleichgewichte. Vor allem, weil die unteren und mittleren Schichten in den reicheren Ländern das Gefühl haben, dass sie es sind, die die Hauptlast der Umverteilung tragen müssen. 

De-Fossilisierung bei wachsender Bevölkerung 

Mit der Entwicklung moderner kapitalistischer Wirtschaften eng verbunden ist der zunehmende Verbrauch fossiler Brennstoffe, vor allem für die Energiegewinnung. Das in der Erde gebundene CO2 wurde zunehmend freigesetzt und belastet nun die Atmosphäre massiv. Das gilt nicht zuletzt für den Bausektor, der einen wesentlichen Anteil am CO2 Ausstoß hat. Was wir in Zukunft brauchen, ist ein Abbau unserer Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen. Es geht also um eine De-fossilisierung und nicht, wie fälschlicherweise – auch auf der Biennale – immer gefordert, um eine Dekarbonisierung. Kohlenwasserstoffe brauchen wir auch in der Zukunft, aber sie dürfen keine Basis unseres Energiesystems sein.

Hinzu kommt ein wesentlicher Faktor, der oft übersehen wird: Nicht nur der Verbrauch fossiler Brennstoffe hat zugenommen, sondern auch die Erdbevölkerung und die beiden Entwicklungen stehen in engem Zusammenhang. Man kann nun diskutieren, was Ursache und Wirkung ist. Hat die wirtschaftliche Entwicklung – unter Vernachlässigung der sozialen Probleme – zu einem starken Bevölkerungswachstum geführt oder hat dieses die wirtschaftliche Entwicklung und damit auch die ökologischen Fehlentwicklungen verursacht? Wahrscheinlich gilt beides.  Auch wenn sich global gesehen das Bevölkerungswachstum langfristig abschwächen wird und dann – gegen Ende des Jahrhunderts – auch ein Bevölkerungsrückgang eintreten wird, wird das alles die Dringlichkeit einer aktiven Klimapolitik nicht mindern. 

Und jetzt stehen wir vor der großen Herausforderung wie wir die wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen – gleichzeitig – bewältigen. Und das nicht nur in den reichen Ländern selbst, sondern auch global. Eine rein auf die reicheren Länder ausgerichtete Klimapolitik kann nur Teilerfolge bewirken. Aber angesichts der von uns allen täglich erfahrbaren weltweiten Klimaveränderungen wird das wenig helfen. Es sind die globalen Herausforderungen der Ungleichheit, der massiven Abholzungen, des Überschreitens von Temperaturen für ein menschenwürdiges Leben etc., die uns zu raschem Handeln zwingen. Anhand vieler Beispiele und in vielen eindrucksvollen Präsentationen argumentieren viele Teilnehmer:innen der Biennale, dass aus vergangenen Methoden des Bauens und der Rücksicht auf die natürlichen Lebensgrundlagen viel gelernt werden kann. Auch wenn nicht alle Argumente überzeugen, muss die globale Entwicklung sicher im Mittelpunkt unserer Klimapolitik stehen und wir sollten jedenfalls ohne Vorurteile auf „alte“ Methoden des Bauens und Wirtschaften schauen. 

Das heißt nun nicht, dass – wie es manche Konservative und Reaktionäre verlangen – der reiche Norden bequem so weiterleben könnte bzw. sollte wie bisher. Eine global wirksame Klimapolitik muss von allen mitgetragen werden. Erstens haben Teile der „lokalen“ Maßnahmen auch positive lokale Auswirkungen. Zweitens können diejenigen, die hauptsächlich Opfer der Klimaveränderungen sind, nur dann von den notwendigen Veränderungen überzeugt werden, wenn auch diejenigen, die hauptsächlich Verursacher:innen waren – und noch sind – selbst an den Veränderungen aktiv beteiligt sind. Das gilt global, aber auch für die reicheren Regionen und Länder ebenfalls. Der ökologische Fußabdruck der Reichen ist ungleich höher als der der mittleren und unteren Einkommensschichten. 

Radikale Änderung des Bauens

Wie erwähnt hat das Bauen durch die Inanspruchnahme von Land und durch die Verwendung vieler industriell gefertigter Produkte oft auch im Betrieb einen hohen ökologischen Fußabdruck. Wenn wir die „angemessenen“ Wohnbedürfnisse aller Menschen – einer noch wachsenden Weltbevölkerung – befriedigen wollen, wird es radikaler Maßnahmen bedürfen – vor allem auch angesichts der extremen Ungleichheit der Einkommen und Vermögen. Mit Grund und Boden müssen wir viel sparsamer umgehen. Wir brauchen Baustoffe, die weniger CO2 bei ihrer Produktion brauchen und in den Gebäuden für ein ausgeglichenes Klima sorgen. Wir müssen den Grundsatz „Renovieren vor Neubauen“ durchsetzen. Darüber hinaus müssten wir stark auf ein Recycling bzw. die Wiederverwendung von schon gebrauchten Materialen setzen. Darauf weist zum Beispiel der deutsche Pavillon hin, der das von der letzten Kunstbiennale „übriggebliebene“ Material gesammelt hat und zu verwerten versucht.

Neue Technologien können uns dabei sicher helfen. So wurde im belgischen Pavillon Baumaterial, das aus Pilzen gewachsen ist, präsentiert. Natürlich müssen die Technologien auch angewendet werden. So präsentierte der rumänische Pavillon einige früh entwickelte nachhaltige Technologien, die aber nicht umgesetzt wurden oder sich nicht durchgesetzt haben. Dazu gehört ein 1910 entwickelter Traktor mit Batteriebetrieb. Man sollte auch nicht ausschließen, dass auch in unseren Breitengraden auf die Lehmbauweise zurückgegriffen wird. Dazu gab es auch Hinweise auf der Biennale sowie bei der Ausstellung über die pakistanische Architektin Yasmeen Lari im AZW, dem Wiener Architekturzentrum. 

Es kann sicher nicht um ein generelles Zurück zu alten Bauformen und Baumaterialien gehen. Uns stehen heute viel mehr alternative Techniken und Materialien zur Verfügung. Aber dennoch können wir von alten und einfachen Baumethoden lernen. Nicht zuletzt sollten Beschattungen und Begrünungen wieder eine größere Rolle bei der Entwicklung von Siedlungsräumen spielen. Wir müssen also zurück, um nach vorne zu schauen. 

Eng in Zusammenhang mit einer klimagerechten Siedlungsentwicklung hat die Energie- und Verkehrspolitik ihre Aufgaben zu erledigen. Neben dem Ausbau von Sonnen- und Windenergieanlagen bedarf es auch des Ausbaus der Netze und massive Forschungsanstrengungen in Speichertechnologien. Aber angesichts der problematischen ökologischen und sozialen Auswirkungen des Abbaus der seltenen Erden und Metalle, die für Batterien herkömmlicher Technologien noch notwendig sind, muss auch hier massiv in alternative Technologien investiert werden. 

Die derzeit noch herrschenden Hindernisse für eine ökologisch nachhaltig produzierte und ausreichend vorhandene Energieversorgung haben auch Auswirkungen auf die De-fossilisierung und Elektrifizierung des Verkehrssektors. In diesem Sektor wird es auch in Zukunft bei einer Mischung – Modal Split – der verschiedenen Arten bleiben müssen. Sicher aber müssen die Anteile klimafreundlicher Verkehrsarten steigen. Und parallel dazu muss die Siedlungsentwicklung dazu beitragen, weniger Verkehr zu erzeugen. 

Von der Sache her müssen diese Neuentwicklungen sofort in Gang gesetzt und rasch umgesetzt werden. Ursachen für die zu langsame Transformation unserer Gesellschaften sind dabei einerseits bürokratische Strukturen und säumige Politiker:innen, aber vor allem wachsender Widerstand in der Bevölkerung. Viele Gewohnheiten müssten aufgegeben werden. Will man wirklich die, für eine Bekämpfung der Klimaveränderungen notwendigen Entwicklungen, in Gang setzen, muss das politische und wirtschaftliche Gewicht in Richtung der ärmeren Länder und hier vor allem in Richtung Afrika verlagert werden. Und das ist für viele eine zusätzlich schwer verdaubare Änderung. 

Architektur als Angelpunkt der ökologischen Entwicklung 

Es ist ein großer Fortschritt, dass heute keine Beschäftigung mit Architektur seriöser Weise stattfinden kann, ohne dabei auch über die Klimapolitik und die globalen Entwicklungen zu sprechen. Im Falle der Biennale 2023 steht dabei vor allem unser Nachbarkontinent Afrika im Mittelpunkt. Und die Biennale erinnert uns in Europa an unsere große Verantwortung – auch, aber nicht nur, angesichts der vielen Wunden, die wir diesem Kontinent und seiner Bevölkerung zugefügt haben. Dabei kann die große Enttäuschung über die von vielen afrikanischen Politiker:innen und Wirtschaftstreibenden selbst hinzugefügten Verletzungen nicht verheimlicht werden. Oftmals wurde die Chance einer eigenständigen Entwicklung des zukünftigen Erbes nicht genutzt. 

Was nun die Architektur als Disziplin betrifft, so macht diese Biennale deutlich, dass die Architektur eine sehr hybride Angelegenheit ist. So meinte die Kuratorin der Biennale in einem Interview, dass „das Studium der Architektur genau zu unserer Zeit passt: es bringt verschiedene Teile der Information in einen Rahmen. Architektur ist viel mehr als Häuser zu bauen.“ Wenn immer mehr Architektur Student:innen – wie mir Unterrichtende an der TU Wien kürzlich erzählten – gar nicht mehr bauen wollen, so ist dies angesichts der klimatischen Bedrohungen erklärbar. Aber es ist die falsche Schlussfolgerung aus einer sehr komplexen Lage. Entscheidend ist, dass die vielen Informationen über die heutige Welt so zusammengeführt werden, dass das Bauen Teil einer nachhaltigen Klimapolitik wird. Dabei ist es Aufgabe der Politik, die verschiedenen Elemente des nachhaltigen Bauens zusammenzuführen und letztendlich auch als Planvorgaben der Siedlungsentwicklung und des Bauens gesetzlich zu verankern.