Weltbank, Earth4All u.a. Berichte zeigen die Zusammenhänge zwischen Schulden- und Klimakrise auf. Gerade die einkommensschwachen Länder sind stark davon betroffen. Sabine Gaber beschreibt die Herausforderungen vor denen das internationale Finanzsystem steht.

von Mag.a Sabine Gaber (Vizepräsidentin Club of Rome – Austrian Chapter), 30.3.2024

Nach der Definition der Weltbank gilt ein Mensch als extrem arm, wenn er weniger als 2,15 Dollar am Tag zur Verfügung hat. Weltweit leben rd. 750 Millionen Menschen, somit mehr als 9 % der globalen Bevölkerung in extremer Armut. Und fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt von weniger als 5,50 Dollar am Tag.

Nach dem mehrdimensionalen Armutsindex der Vereinten Nationen, der misst wie stark ein Haushalt unter Entbehrungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Lebensstandard leidet, sind 1,3 Mrd. Menschen von Armut betroffen. 

Erneuter Anstieg von Armut

Nach dem Erfolg, dass über drei Jahrzehnte hinweg rd. 1 Mrd. Menschen der extremen Armut entkommen sind, hat sich die globale extreme Armut seit 2015 nur noch langsam reduziert und die COVID-Pandemie hat schließlich den Trend weiter verschlechtert, so rutschten seit 2020 wieder 90 Mio. Menschen in die extreme Armut ab. Das war der größte Anstieg, seit die globale Armut gemessen wird. 

Durch den russischen Angriffskrieg und den dadurch ausgelösten geopolitischen Verwerfungen in Bezug auf den Welthandel, haben sich die Lebenserhaltungskosten erhöht, was arme Länder unverhältnismäßig stark trifft, und es besteht eine weiterhin hohe Schuldenlast von vielen Ländern des globalen Südens u.a. durch die gestiegenen Zinssätze aufgrund der Inflation.

Schulden und Klimakrise hängt zusammen

Bei der COP28 haben viele Länder des globalen Südens aufgezeigt, dass die Schuldenkrise sie daran hindert die doppelte Herausforderung von Klimawandel und Armut zu bewältigen. Sie haben Schwierigkeiten, zusätzliche leistbare Finanzierungen für klimarelevante Investitionen, für Maßnahmen gegen den Biodiversitätsverlust, für die Implementierung von Umwelt- und Sozialaktionsplänen zu erhalten. Die Kreditwürdigkeit dieser Länder lt. internationaler Rating-Agenturen ist bereits aus ökonomischer Sicht schlecht und hinzukommt ein erhöhtes Risiko von „stranded assets“ durch Naturkatastrophen als Folge des Klimawandels, welche die Kreditwürdigkeit dieser Länder noch weiter herabstuft. 

Somit ist die globale ökonomische Schuldenkrise vieler Länder mit der Klimakrise bzw. ökologischen Krise eng verflochten.

Die Erreichung der 17 Globalen Nachhaltigkeitsziele und die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens geraten immer mehr außer Reichweite. Das globale Nachhaltigkeitsziel SDG 1: Armut in all ihren Formen und überall zu beenden wird lt. SDG-Fortschrittsbericht 2023 nicht erreicht werden, es wird mit über einer halben Milliarde in extremer Armut lebenden Menschen in 2030 gerechnet.

Angesichts erheblicher Finanzierungslücken für die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und der multiplen Krisen unserer Zeit – finden noch immer enorme Investitionen in kohlenstoffintensive Industrien statt, während für die sozial-ökologische, klimabezogene Transformation nicht genügend Finanzmittel zur Verfügung stehen. Es fehlt an Anreizsystemen, die dem Schutz von Klima, Ökologie, Ressourcen dienen durch Einsparung, Wiederverwendung und Recycling, unerwünschte Aktivitäten werden nicht / nicht ausreichend / nicht fair besteuert, umweltschädliche Subventionen werden nicht abgeschafft.

Das internationale Finanzsystem steht vor vielfältigen Herausforderungen

  • Viele Länder suchen um eine Entschuldung an, um neue, zinsgünstige Darlehen zu erhalten, um die Vielzahl von Krisen zu bewältigen. Sonst drohen in zahlreichen Ländern politische Instabilität, soziale Spannungen, Kriege und wachsende Emigration. Eine dringende Bewältigung der Verschuldungskrise steht somit an, diskutiert werden Schuldenerlass und Schuldenumstrukturierung, Schuldentragfähigkeit. 
  • Es ist erforderlich, Schuldenerlässe mit ökologisch-sozialen, klimabezogenen Transformationsprozessen zu verknüpfen. Die Einrichtung eines globalen Schuldengremiums wäre erforderlich, damit ein tragfähiges System zur Entschuldung von Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen durch einkommensstarke Länder sichergestellt werden kann.
  • Lt. Schätzungen der Weltbank werden die Gesamtausgaben für Entwicklungsländer zur Bewältigung von Klimawandel, Pandemien und Konflikten für den Zeitraum 2023 – 2030 bei mind. rund 2,4 Billionen USD jährlich liegen (WB, IWF 2023). Um diese Summe(n) stemmen zu können, muss das System der Entwicklungsfinanzierung reformiert werden.
  • Es besteht ein dringlicher Reformbedarf von multilateralen Entwicklungsbanken, internationalen Finanzinstitutionen wie zB. der Weltbank, die danach strebt ihr Mandat neben der Armutsbekämpfung auf die Bereitstellung globaler öffentlicher Güter, insbes. um den Klimawandel, auszuweiten. Allerdings fehlt ihr die adäquate finanzielle Ausstattung, es sind hohe Kapitalerhöhungen von ihren Anteilseigner*innen erforderlich, angesichts des enormen Finanzierungsbedarfes der globalen Nachhaltigkeitsziele. 
  • Multilaterale Entwicklungsbanken sollen auch sicherstellen, dass die zinsvergünstigten (konzessionellen Mittel) nicht von den zentralen Entwicklungszielen – der Armutsbekämpfung – abgezogen werden. Sie müssen ihre Risikotragfähigkeit und ihren Risikozugang erhöhen und ihre Kreditvergabe ausweiten, vielleicht können auch Sonderziehungsrechte (SZR) des IWF über die Entwicklungsbanken geleitet werden, als eine weitere Möglichkeit die Finanzierungskapazität von Multilateralen Entwicklungsbanken auszuweiten. Die SZR stellen Reserveguthaben dar, die der IWF 1969 erstmals eingerichtet hat. 
  • Die gesamte internationale Finanzarchitektur muss an die globalen Nachhaltigkeitserfordernisse angepasst werdenund nicht umgekehrt. Es braucht einen Paradigmenwechsel – neben Reformen braucht es den politischen Willen einer globalen harmonisierten Finanzarchitektur mit der Erkenntnis, dass ein nachhaltiger agierender Finanzsektor nicht nur auf finanzielle Risiken und Renditen abstellen kann, sondern die Integration von ökologischen, klimabezogenen und sozialen  Risiken berücksichtigen muss und das muss global harmonisiert erfolgen, um die Ziele global zu erreichen. Anreizsysteme und Sanktionen (angemessene Kohlenstoffpreise, Umweltsteuern) sind verstärkt zu berücksichtigen und neue neue Geschäftsmodelle, müssen gestiegene Kosten und Leistbarkeit und angemessene Finanzierbarkeit neu definieren/neu denken.
  • Die Steuereinnahmen stellen eine wichtige Quelle der Entwicklungsfinanzierung dar und Reformen sind wichtig (Aufbau von effizienten Steuerverwaltungssystemen, Transparenz zur Vermeidung grenzüberschreitender Steuerhinterziehung und –umgehung, internationale Steuerkooperationen sollen verbessert werden, höhere Kohärenz internationaler Steuervorschriften – Afrika verliert jährlich 50 – 80 Mrd Dollar durch illegale Finanzströme).
  • Die Erhöhung der öffentlichen Entwicklungs- und Klimafinanzierung ist anzustreben (mehr ODA sollte in die ärmsten Länder fließen, Geber sollten ihre ODA zusätzlich zur Klimafinanzierung und nicht als Ersatz dafür bereitstellen). Die Geber sollten die Klima- und Entwicklungsfinanzierung getrennt ausweisen.
  • Bessere Einbindung des privaten Sektors durch Mobilisierung von privatem Eigenkapital für Investitionen. Die Privatsektormobilisierung hat zunehmend an Bedeutung gewonnen und auch diese muss den globalen Nachhaltigkeitszielen dienen. Allerdings sind private Kapitalflüsse wie ausländische Direktinvestitionen in Niedrig- und Mitteleinkommensländer während der Corona-Pandemie stark zurückgegangen und wegen der steigenden Inflation und den höheren Zinsen wurde auch wieder Kapital abgezogen. Der Aufbau von lokalen Sparguthaben, lokalen Kapitalmärkten zur Finanzierung von Investitionen ist daher sehr bedeutend, zur Reduktion der Abhängigkeit vom internationalen Finanzmarkt. 

Alle einkommensschwachen Länder streben nach Wohlstand und nachhaltiger Entwicklung. Die Notwendigkeit für ein Wirtschaftswachstum, das die Einkommen der Ärmsten steigert, könnte nicht größer sein als jetzt, heißt es in einem Weltbankbericht. Extreme Armut konzentriert sich in Konfliktzonen, in ländlichen Gegenden und südlich der Sahara-Wüste. In der Sub-Sahara-Zone konzentrieren sich 60 Prozent der Ärmsten. Die Länder müssten lt. Weltbank bis 2030 ein Wirtschaftswachstum pro Kopf von 9 Prozent erreichen, um bitterste Armut zu beenden 

Die Armutskehrtwende in Earth4All

Auch der Bericht an den Club of Rome, „Earth4All“ befasst sich im Rahmen der Armutskehrtwende mit der Überwindung von Armut in einkommensschwachen Ländern (BIP < 10.000 USD pro Person) und unterstützt die Ermöglichung eines raschen, fairen und umweltverträglichen Wirtschaftswachstums mit einem BIP-Anstieg von mindestens 5 Prozent, bis das BIP pro Person mehr als 15.000 USD pro Jahr beträgt – demnach soll Wirtschaftswachstum bei den ärmsten Ländern unterstützt werden, damit diese Länder die doppelte Herausforderung von Armut und Klimawandel bewältigen können.

Ein rasches und zugleich faires und umweltverträgliches Wirtschaftswachstum ist anzustreben, aber es braucht ein neues ökonomisches Modell, das nicht nur Wachstum steigern möchte, sondern auf faire und umweltverträgliche Weise rasch Armut senkt. 

Die heutigen globalen Handelsabkommen müssen umgestaltet werden, eine Transformation des Welthandels muss auch die Überprüfung von CO2 Emissionen in internationalen Handelsabkommen zum Ziel haben, eine Auslagerung von CO2 Emissionen in einkommensschwache Produktionsländer ist zu unterbinden, Emissionen müssen dort verbucht werden, wo die Produkte konsumiert werden. Weitere Maßnahmen zum Schutz einkommensschwacher Länder sind zu unterstützen, insbesondere die Förderung des grünen Technologieaustausches u.a. durch Verzicht auf Rechte des geistigen Eigentums für patentierte Technologien.

In einer politisch und wirtschaftlich eng verflochtenen Welt, wo alle Länder die Herausforderungen des planetarischen Notstandes teilen, müssen die Ursachen von Armut analysiert werden und jene Hebel identifiziert werden, bei deren Änderung eine große, und rasche Veränderung des aktuellen Systems bewirkt werden kann, in Richtung eines neuen Modells, das den gegenwärtig eng miteinander verbundenen Krisen und künftigen Krisen standhält. 

Es müssen jene Pfade gegangen werden, auf denen wir den größten humanitären, sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Nutzen für Alle erreichen. Niemand kann sich dieser Verantwortung entziehen – Armut geht uns alle an!

Mehr dazu bei unserer Veranstaltung am 2.4.2024: https://www.clubofrome.at/veranstaltungen/event-2apr2024-kehrtwende1-armut/