Der Nachbericht zu den fünf Impulsvorträge bei der Veranstaltung am 22.11.2023.

Im Zuge unserer Betrachtungen zu den Konsequenzen der Aussagen von Earth4All auf Österreich kamen wir am 22. November 2023 zusammen, um uns eine der 5 Kehrtwenden näher anzuschauen – die Kehrtwende Energie. Dabei scheint das Thema Energiewende ein wenig anders zu sein, als die anderen fünf Kehrtwenden: Aktuell sind wir gleichzeitig schon auf einen sehr guten Weg, weil das Bewusstsein über die Notwendigkeit einer Energiewende und deren Zusammenhang mit den Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit schon sehr stark im öffentlichen Diskurs angekommen ist. 

Gleichzeitig ergibt sich aber auch die Schwierigkeit, dass es bereits sehr viele Pläne, Akteur:innen und Bestrebungen gibt, die Energiewende voranzutreiben. Allerdings hat bereits Hannes Swoboda in seiner Eröffnungsrede am 22. November angesprochen, dass wir uns noch immer auf dem Pfad “Too Little Too Late” – zu wenig zu spät – bewegen.

Was muss auf globaler Ebene für einen Giant Leap im Energiebereich passieren?

Mit dieser Frage und deren Antwort im Sinne von Earth4All startete Dr. Nathalie Spittler den “Energieteil” der Veranstaltung. Ausgangspunkt ist die Umwandlung unseres ineffizienten fossilen Brennstoffsystems in ein sauberes und optimiertes Energiesystem, mit dem Ziel die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 50% zu reduzieren, den Netto-Null-Kohlenstoff-Ausstoß bis 2050 zu erzielen und den Verlust der Artenvielfalt zu stoppen. Systemisch betrachtet führt dies auch zu einer weltweit besseren Verfügbarkeit und Leistbarkeit von “Energie” – Spittler spricht von einer “Elektrifizierung für alle”. 

Um das zu erreichen spricht der Bericht Earth4All über die bekannten drei Hebel (siehe Grafik), wobei im Bereich Elektrifizierung natürlich besondere Anwendungen und Notwendigkeiten mit berücksichtigt werden.

Es wird empfohlen: 

  • Subventionen für Fossile sofort abschaffen und in saubere und effiziente Energielösungen umwandeln
  • Intelligente Elektrifizierung bei gleichzeitiger Optimierung größerer Effizienz für Mehrfachgewinne fördern
  • Investitionen in erneuerbare Energien mit Speicherkapazität und Infrastruktur sofort auf über eine Billion USD pro Jahr verdreifachen

Diese Punkte wollen wir mit unserem Projekt und der Veranstaltung in einen österreichischen Kontext setzen. Aus diesem Grund haben wir in unserer Veranstaltung versucht, Zukunftsvisionen aus verschiedenen Perspektiven zusammenzubringen. In kurzen Impulsvorträgen werden die grundlegenden Themen angesprochen und wir laden euch ein, die entsprechenden Berichte und Hintergrundpapiere anzuschauen.

Österreichs Nationaler Energie- und Klimaplan 2030 (NEKP) – Aktualisierung 2023/24

In der Tat sind wir in Österreich in vielen Bereichen schon gut aufgestellt bzw. setzen gerade wichtige Schritte. Dazu stellt Mag. Christopher Lamport die Aktualisierung des NEKP vor, denn nach 5 Jahren nach seiner Veröffentlichung ist die Aktualisierung vorgesehen. Diese berücksichtigt wichtige Entwicklungen durch den europäischen Rechtsrahmen für Energie- und Klimapolitik Fit for 55, eine Neubewertung der Energieversorgung aufgrund des Ukraine-Kriegs und eine Neubewertung der Energiearmut und Wettbewerbsfähigkeit in der aktuellen Situation.

Das Regierungsprogramm 2020-2040 hat sich Klimaneutralität bis ins Jahr 2040 vorgenommen. Dies erfordert eine stärkere Reduktion der Treibhausgasemissionen als bisher vorgesehen. Statt der bisher im Szenario With Additional Measures (WAM) vorgesehenen Reduktion um 35% bis 2030 ist eine Reduktion um 48% notwenidg. “Es besteht also noch eine durchaus respektable Lücke von 13% zur Zielerreichung vorhanden”, sagt Lamport. 

Auch bei der anteiligen Abdeckung des Gesamtenergieverbrauchs durch Erneuerbare Energie und bei der Energieeffizienz muss das WAM-Szenario nachgebessert werden. Die Aktualisierung des NEKP sieht deswegen zusätzliche Maßnahmen in den Bereichen erneuerbare Energie, Strom und Gas, Energieeffizienz, Wärme und Gebäude, klimagerechte Mobilität, Industrie und CO2-Bepreisung.

Die neuen Maßnahmen zeigen in den Wirkfolgenabschätzungen Effekte im Bereich der Reduktion der Treibhausgase, des Gesamtenergieverbrauchs und dem Anteil an Erneuerbaren Energien in die richtige Richtung, sind aber trotz allem immer noch eher Too Little – Too Late

APCC Special Report: Strukturen für ein klimafreundliches Leben

Diese Erkenntnisse kann Dr. Ernest Aigner nur unterstützen, denn er stellt bei seiner Vorstellung des APCC Special Report: Strukturen für ein klimafreundliches Leben und seiner wichtigsten daraus folgenden Erkenntnisse fest: „Derzeit ist es schwierig in Österreich klimafreundlich zu Leben. In den meisten Lebensbereichen fördern bestehende Strukturen klimaschädigendes Verhalten und erschweren klimafreundliches Leben.“

Der Special Report ist ein Assessmentbericht, der die Literatur systematisiert und darin enthaltene Aussagen bewertet. Entstanden ist er in Zusammenarbeit von 80 Autor:innen, 120 Reviewer:innen und 80 Stakeholder:innen aus den betroffenen Bereichen. 

Der Bericht beschäftigt sich mit der Frage: „Welche Strukturen braucht Österreich, um rasch und dauerhaft ein klimafreundliches Leben möglich und selbstverständlich zu machen?“ Aigner betont die Wichtigkeit, in Strukturen zu denken. Es geht also nicht darum, das Verhalten Einzelner innerhalb der bestehenden Strukturen zu ändern, sondern Strukturen zu beseitigen, die klimafreundliches Verhalten erschweren und Strukturen schaffen, die klimafreundliches Verhalten erleichtern und selbstverständlich machen.

Diese Transformation benötigt „das Mitwirken aller gesellschaftlichen Kräfte“. Jedoch sind viele Akteur:innen nicht in der Lage, Strukturen zu gestalten. Gleichzeitig fehlt es bei denjenigen Akteur:innen, die in der Lage sind, Strukturen zu gestalten, an dem notwendigen Engagement. „Besondere Kompetenzen, Ressourcen und Entscheidungsverantwortung für die Gestaltung klimafreundlichen Lebens liegen bei öffentlichen Entscheidungsträger:innen, in Gesetzgebung und Regierung,” so Aigner. 

Impulse für die Energiewende von Unternehmer:innen 

Eine weitere große Gruppe an Entscheidungsträger:innen und Personen, die Strukturen gestalten können, sind österreichische Unternehmer:innen. Mehr als 20 Unternehmen haben sich bereits den Kernpunkten des Positionspapiers Energiewende – Impulse zur Dekarbonisierung des Energiesystems verschrieben, welches Mag.a Christiane Brunner als dritten Impuls vorstellte und welcher von den CEOs for Future erarbeitet wurde. 

Die Unternehmen sind sich der Notwendigkeit der Energiewende bewusst und weisen auf ihre global-politischen, sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen hin. So ist die Verfügbarkeit von günstigem grünem Strom ein industrieller Standortvorteil, der sich auf Standorte und den Arbeitsmarkt auswirkt. Weiterhin sind stabile Energiepreise die Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit.

Als zentrale Eckpunkte neben Energiesparen, Energieeffizienz und Elektrifizierung nennt Brunner vor allem auch das Ermöglichen schnellerer Ausbaugeschwindigkeiten und die koordinierte Systemplanung. Ersteres wird zum einen durch verkürzte Verfahren ermöglicht. Zum anderen braucht es Entscheidungen von Zielkonflikten auf höherer Ebene, da Einzelfallentscheidungen zu aufwändig sind. Die koordinierte Systemplanung umfasst eine verbindliche Energieraumplanung mit verbindlicher Zielerreichung und Flächenzuweisung. Gleichzeitig muss die Energiesystemplanung über alle Sektoren gedacht werden und dabei die gesamte Kette – Erzeugung-Transport-Verbrauch – berücksichtigen.

UniNEtZ – Optionen zur Umsetzung der UN-Agenda 2030 in Österreich

Zu diesem Schluss kommt auch DI Franz Michael Fehr. Er stellt bei seiner Vorstellung des UniNEtZ Projektes fest, dass es zwar zum SDG 7 “Bezahlbare und saubere Energie” nur 3 Optionen im Optionenbericht gibt, aber andererseits sich im gesamten Bericht ca. 30 Optionen direkt auf Energie beziehen. Außerdem gibt es zwischen den Maßnahmen sowohl Synergien als auch Trade-Offs. Das Themenfeld Energie muss also vernetzt über mehrere SDGs hinweg als komplexes System betrachtet werden. 

Das Projekt UniNEtZ hat zum Ziel, die Prinzipien von Nachhaltigkeit in universitärer Forschung und Lehre zu verankern, die interdisziplinäre und interuniversitäre Arbeit zur UN-Agenda 2030 zu stärken und Maßnahmenvorschläge für die SDGs in Österreich zu erarbeiten. Beteiligt waren rund 300 WissenschaftlerInnen aus über 30 wissenschaftlichen Disziplinen an mehr als 20 wissenschaftlichen Institutionen. 

Im März 2022 wurde der Optionenbericht, ein Bericht mit Handlungsoptionen und Maßnahmen zur Umsetzung der SDGs in Österreich, an die österreichische Regierung übergeben. Als Reaktion wurde das Projekt um 3 Jahre verlängert, welches nun die wissenschaftliche Umsetzung der Optionen begleitet.

Fehr betont, dass die beschriebenen Optionen und Maßnahmen in der Wissenschaft seit langem bekannt sind, die Umsetzung durch die Politik aber weiterhin nicht angegangen wird. Neben Lobbying und wirtschaftlichen Interessen sieht er ein Problem in der Vorgehensweise politischer Gremien. Diese ziehen die Wissenschaft nicht bzgl. der Frage nach den wichtigsten und dringendsten Maßnahmen zu Rate, sondern um sich bereits vorgefertigte Entscheidungen bestätigen zu lassen.    

Vom ‚Green Deal‘ im AT Regierungsprogramm zur nationalen ‚Carbon Management Strategie‘ – Next Level: „Die Weichen richtig stelle“ – 2 nationale Ziele

Am Ende griff Univ.-Prof. Dr. Reinhold Lang gab in seinem Impuls ein Thema auf, das üblicherweise öffentlich weniger stark diskutiert wird. Er beschäftigt sich mit den Hard-to-Abate-Sektoren (HTA), also energieintensive Bereiche, in denen die Dekarbonisierung am schwierigsten ist, wobei er eigentlich von “Defossilisierung” spricht, also der Vermeidung von fossilen Ausgangsmaterialien. 

Für diese Defossilisierung  gibt er zwei nationale Ziele au: Sein Nationales Ziel 1 fordert eine nationale Carbon Management Strategie bis Mitte 2023 mit Fokus auf HTA-Industrien und HTA-Transport/Verkehr, die cross-sektoral, zirkulär und transnational ist. Dahinter verbirgt sich, “Kohlenstoff im Kreis zu fahren”, also CO2 nicht in die Atmosphäre zu entlassen, sondern aufzufangen und wieder zu verwenden.

Das Nationale Ziel 2 fordert alle HTA-Sektoren bis spätestens 2050 klimaneutral, also vollständige Kohlenstoffkreislauf-fähig zu machen. Dies beinhaltet auch eine komplett zirkuläre Plastikwirtschaft. Im Fall von Plastik wird der eingefangene Kohlenstoff zusammen mit Wasser unter großem Energieeinsatz chemisch in z.B. Methan oder Methanol umgewandelt und dann zu Plastik weiterverarbeitet werden.

Lang untermauert die Wichtigkeit seiner Strategie mit den Ergebnissen eines Berichts des Verbands der Chemischen Industrie (in Deutschland) und dem Verein Deutscher Ingenieure. Dieser Bericht kommt zu dem Schluss, dass eine möglichst umfangreiche Dekarbonisierung der Wirtschaft zu einem Mangel an Kohlenstoff als Ausgangsstoff für die Chemieindustrie führt. Die Alternative, Kohlenstoff aus Biomasse zu gewinnen, ist höchst umstritten und wird voraussichtlich nicht in der Lage sein, diesen Mangel auszugleichen. Des Weiteren ist die Kohlenstoffkreislaufführung bzgl. der notwendigen Investitionen die günstigste Methode den Chemiesektor klimaneutral zu machen.

Systemisches und gesamtheitliches Denken

Von diesen 5 Impulsen können wir bereits einige Informationen und Ideen im Sinne von Earth4All und einem Giant Leap Szenario mitnehmen. Wir müssen und werden in Zukunft mehr systemisch und gesamtheitlich denken müssen, um bestehende Strukturen aufzubrechen und über den Tellerrand zu schauen. Das Thema Kreislaufwirtschaft behält seine Wichtigkeit und wird im Sinne eines globalen Kohlenstoffkreislaufs noch einmal besonders betont. 

Stetige Updates und Aktualisierungen unserer Pläne und Ziele sind notwendig, wie im Falle des NEKPs.  Der APCC Special Report zeigt – so detailliert wie selten zuvor –, dass klimafreundliches Leben keine Einzelaufgabe ist, sondern eine kollektive soziale Herausforderung ist und signifikante, strukturelle Änderungen erdacht werden müssen. Denn teilweise fehlen hier insbesondere die sozialen Innovationen und die sozialwissenschaftliche Betrachtung der Problemstellungen, wie sie Aigner in der späteren Diskussion kurz erläutert.  

Systemdynamische Modelle wie sie in Earth4All verwendet werden, können sicherlich dazu  beitragen, bessere Schlussfolgerungen in komplexen Zusammenhängen zu machen, aber am Ende müssen wir vor allem miteinander reden und auf eine gemeinsame Vision hinarbeiten. Dazu dienen dann die anschließenden Workshops in unserem Projekt.

von Peter Hachenberger und Martin Hoffmann

Video-Links: 

  • 1:00 Dr. Nathalie Spittler, BOKU & Millennium Institute
  • 7:22 Mag. Christopher Lamport, Leiter (interimistisch), Abteilung VI/1, BMK 
  • 20:45 Dr. Ernest Aigner, Leitender Projektkoordinator, WU Wien
  • 32:45 Mag.a Christiane Brunner,  Vorstandsmitglied CEOs FOR FUTURE
  • 42:30 DI Franz Michael Fehr, Ratsvorsitzender UniNEtZ
  • 54:50 Univ.-Prof. Dr. Reinhold Lang, Kunststofftechnik, JKU