„Mehr Kohärenz“ in der Politik forderte Klimaministerin Leonore Gewessler zum Auftakt der Jahreskonferenz des Austrian Chapter des Club of Rome am 24.11.2020 als einen von sechs Punkten in ihrem Grundsatzreferat: etwa beim Einsatz von öffentlichen und privaten Mitteln, Unterstützungsleistungen und Regulierungen – und arbeitete sich so am Tagungstitel „Ein Neustart für Klima, Wirtschaft und Gesellschaft“ ab.

Man dürfe nicht vergessen, dass es Menschen gebe, für die Klimapolitik alleine noch keine gute Perspektive sei. Wie Menschen und Sektoren, die von den Veränderungen zunächst negativ betroffen sein werden. Man müsse also daran arbeiten, dass etwa die Kohlekumpel in Polen oder die Autoindustrie, am Ende auch mit dabei sind. Daher forderte Gewessler die „größtmögliche Einbindung“ der Bürger*innen. Aber: Klimapolitik sei ein absoluter Job-Motor, Gebäudesanierung oder Lokführer seien Zukunftsjobs, so die Ministerin mit Verweis auf den europäischen Just Transition Fonds.

Dabei will sie sich auch „durchringen, anders und neu zu kommunizieren“. „Bedürfnisse haben sich geändert und auch unsere Argumente müssen sich ändern“. Es gehe nicht mehr um das ob, sondern um das wie; um die Chancen einer zukunftsfitten Wirtschaft. „Was brauchen die Menschen, um bei dieser Transformation dabei sein?“ Diese sei nur zu schaffen, „wenn am Ende alle dabei sind und nicht nur ein paar wenige“. Dazu gehöre auch – ein anderer ihrer sechs Punkte – „Wohlstand neu zu messen“.

„Wir müssen uns alle mehr über Lösungen und Perspektiven unterhalten, wo wir hin wollen und wie wir dort hin kommen – Perspektiven für eine gute Lebensqualität für alle Menschen“ Anstatt zu diskutieren, was nicht geht, sei das gerade jetzt eine wichtige Aufgabe – für sie selbst und alle, die an dieser Tagung teilnehmen.

Zuvor hatte schon Hannes Swoboda, Präsident des Club of Rome – Austrian Chapter, darauf hingewiesen, dass alle politischen Ebenen – von kommunal bis international – bei der Klimapolitik wichtig seien. Die genaue Umsetzung von klimapolitischen Maßnahmen führe durchaus noch zu Diskussionen auch verteilungspolitische Fragen seien zentral, weil besonders ärmere Menschen unter der Klimakrise litten und gleichzeitig bei Ökosteuern nicht zusätzlich belastet werden sollen. Die Wahl Joe Bidens sei zudem ein positives Signal für internationale Anstrengungen, auch China habe sich zuletzt ehrgeizige Ziele gesetzt, die es jetzt umzusetzen gelte.

„Welche Systemveränderungen brauchen wir in Österreich und Europa für das Erreichen einer ‚Klimaneutralität bis 2040‘?“ lautete die Frage des ersten, von Angela Köppl moderierten,  Diskussionsblocks.  „Wir wollen von 80 Millionen Tonnen an Emissionen pro Jahr runter auf null kommen“, sagte Stefan Schleicher, Klimaökonom an der Uni Graz. Pro Jahr müssten die Emissionen also um 5% oder 4 Millionen Tonnen zurückgehen. Was wir dazu brauchten, sei ein großer Neustart und die Suche nach einem neuen Wirtschafts- und Lebensstil – also viel mehr als nur Klimaneutralität. Wir müssten akzeptieren, was durch die COVID-Krise allein auf dem Arbeitsmarkt auf uns zukomme. Nun gehe es darum, neue Werte zu schaffen wie etwa Wohnquartiere mit kurzen Wegen, Energienetze für niedrige Energien zum Recycling von Abwärme bis hin zur Integration von Wohnen, Arbeiten und Freizeit für eine hohe Lebensqualität.

Doris Ritzberger-Grünwald (Direktorin der österreichischen Nationalbank) verwies auf die zusätzlichen Investitionen von 260 Mrd € pro Jahr, die laut Europäischem Green Deal bis 2050 in der EU nötig sind, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen. Dem Finanzsektor (Banken, Pensionskassen, aber auch der Nationalbank) komme dabei eine wesentliche Rolle zu. Junge Menschen erwarteten sich, dass Gelder, die sie für ihre Altersvorsorge ansparen auch nachhaltig investiert werden. Im Moment seien weniger als fünf Prozent aller Anleihen „grün“. Aber auch Banken sorgten sich zunehmend, dass Kredite, die sie an wenig zukunftsfähige Unternehmen geben, am Ende nicht mehr zurückgezahlt werden können.

Auch „grüne Bankkredite“ werden für Banken zunehmend interessant. Physische Risiken des Klimawandels für die Kredite, die Banken vergeben – etwa für ein Hotel in einem Schigebiet, dem die Schneesicherheit abhanden kommt aber auch Auswirkungen einer zu erwartenden CO2-Steuer für Investitionen in energieintensiven Bereichen – finden bei der Kreditvergabe zunehmend Beachtung.  Kreditnehmer müssten solche Klimarisiken dabei auf den Tisch legen. Ganz aktuell verwies Ritzberger-Grünwald zudem auf den soeben erschienenen Finanzmarktstabilitätsbericht der OeNB, der Sektor für Sektor gewissermaßen einen Klimastresstest veröffentlicht. Das sei „wirklich ein Novum“.

Katharina Rogenhofer, Bundessprecherin des Klimavolksbegehrens, das im Corona-Frühling 2020 fast 400.000 Unterschriften sammeln konnte, nahm zur darin enthaltenen Forderung nach einem Grundrecht auf Klimaschutz Stellung. Ein solches Grundrecht könne (anders als das bereits seit den 1980ern verankerte Staatsziel „Umfassender Umweltschutz“) vor Gericht eingeklagt werden. In anderen europäischen Ländern liefen solche Verfahren schon, hierzulande wurde eine Klage von Greenpeace und der Anwältin Michaela Krömer vom Verfassungsgerichtshof abgewiesen. Denn: anders als in der europäischen Menschenrechtskonvention könne das Recht auf Klimaschutz nicht über andere Grundrechte hergeleitet werden – und bedürfe deshalb einer eigenen Verankerung als Grundrecht. Darüber hinaus gehe es bei diesem Schritt auch klar zu machen, dass die Klimakrise keine rein technologische, sondern vielmehr eine Frage grundlegender Werte und globaler Gerechtigkeit sei. Als zusätzliche institutionelle Maßnahme könnte ein Klimarechnungshof analog zum existierenden Rechnungshof politische Maßnahmen im Hinblick auf das verbleibende CO2-Budget beurteilen.

Ganz allgemein brauche es ein Umdenken in allen Bereichen, damit klimafreundliches Verhalten für jede und jeden möglich, leistbar und am bequemsten werde und klimaschädliche Alternativen als Norm abgelösten werden könnten. Gerade in Zeiten, in denen viel Geld fließe, müsse man dieses auch in die richtigen Kanäle lenken und dabei nicht nur an CO2-Emissionen, sondern breiter an eine Senkung des Ressourcenverbrauchs denken. Obwohl Bürger*innen laut Umfragen mehr Klimaschutz mehrheitlich unterstützten, werde in der jetzigen Krisensituation weiterhin viel Geld in die Fossilindustrie investiert. Den zahlreichen Zielen, die sich Regierende vielerorts stellen, müssten jetzt auch strukturierte Maßnahmen folgen, die diesen Zielsetzungen gerecht werden.

Systemveränderungen sprach auch Julia Herr, Nationalratsabgeordnete und Umweltsprecherin der SPÖ, an. Umweltverschmutzung, Ressourcenausbeutung und Klimaveränderung passierten systematisch, in einem neoliberalen, kapitalistischen Wirtschaftssystem. Wirtschaftliches Handeln sei entlang der Wertschöpfungskette auf Profit ausgerichtet, selbst wenn dies auf Kosten Umwelt gehe. Gleichzeitig seien hier die globale und die österreichische Ebene nicht mehr unterscheidbar. Maßnahmen wie sie im European Green Deal (z.B. Recht auf Reparatur) vorgeschlagen werden seien hier vielversprechend. Aber auch Transparenz (wie das diskutierte Lieferkettengesetz in Deutschland) könnte zu mehr systemischer Verantwortung führen, die derzeit aufgrund von Profitinteressen ignoriert wird.

Gleichzeitig forderte Herr nicht immer in einer Marktlogik zu denken, sondern auch auf ordnungspolitische Maßnahmen wie Verbote und Standards nicht zu vergessen. Mit Verweis auf Ideen Karl Polanyis könnten gar bestimmte Bereiche (z.B. Wälder, Natur) der kapitalistischen Logik von vorrangig wirtschaftlicher Verwertung entzogen werden. Insgesamt brauche die weitere CO2-Reduktion neue Konzepte, das Fazit der vergangenen Jahre sei nämlich: „auf freiwilliger Basis wird’s nicht funktionieren“. Deshalb müsse man über adäquate staatliche Begleitung – etwa mit einem „Transformationsfonds“ – nachdenken. Damit solle man nicht nur die Wirtschaft zukunftsfähig umbauen, sondern gleichzeitig arbeitende Menschen nicht zurückzulassen und ein Recht auf Arbeitsplätze schaffen. Der Staat stelle dabei nicht nur Geld zu Verfügung, sondern könne auch an positiven Ergebnissen teilhaben.

Als Nationalratsabgeordneter einer Regierungspartei und gleichzeitiger Politik-Neuling sah Jakob Schwarz (Die Grünen) die Zielsetzung einer Klimaneutralität bis 2040 im Regierungsprogramm einerseits als durchaus richtungsweisend. Andererseits sei die Herausforderung eben, jetzt Maßnahmen umzusetzen, um den Gap zwischen Ziel und Wirklichkeit zu schließen. Dabei müssten aber auch Einkommen sichergestellt und mit den Sorgen der betroffenen Industrien umgegangen werden. Hier sei auch die Verabschiedung eines Konjunkturpakets zu erwähnen, das zu einem Drittel aus direkten staatlichen Investitionen für die klimapolitische Umsteuerung bestehe. Ein weiteres Drittel umfasse indirekte Maßnahmen, wie einer erhöhten Investitionsprämie für ökologische Investitionen, die auch schon gut angenommen werde (mittlerweile fast 40% der Anträge in dem Bereich).

Trotzdem brauche es den „vollen Instrumentenkoffer“. Dabei es gehe nicht nur um Förderungen für Innovation, sondern auch Unterstützung für Exnovation – also wie „dreckige Technologien“ wieder aus dem System entfernt werden können. Die ökosoziale Steuerreform sei hier wichtig und werde (wenn auch langsamer als persönlich gewünscht) weiter Schritt-für-Schritt vorangetrieben. Dazu gehörten bis jetzt die Flugticketabgabe sowie Senkung des niedrigsten Einkommensteuersatzes im Sommer, als nächstes die Erhöhung und Spreizung der Normverbrauchsabgabe (NoVA) sowie einer ersten Ökologisierung des Sachbezugs. Weitere Schritte bis hin zu einer CO2-Bepreisung am 1.1.2022 sollen in den kommenden Monaten folgen. Vorgezogene Maßnahmen im Bezug auf die NoVA seien gleichzeitig ein Versuch aktuell angesammelte Sparguthaben bei nachgeholtem Konsum gleich in klimafreundlichere Autos, statt etwa jetzt deutlich teurere SUVs, zu steuern. Bei der CO2-Bepreisung komme die Herausforderung hinzu, Menschen am Land nicht zu benachteiligen (solange ebenfalls notwendige Infrastruktur nicht ausgebaut ist), weshalb etwa die Pendlerpauschale – als Mittel zur Rückverteilung – noch außen vorgelassen wurde.

Zum Abschluss des ersten Teils der Tagung brachte Christoph Müller in interaktives Kunstprojekt zur Aufführung. Müller ist Teil eines Künstlerkollektivs zwischen Kunst und Technik, Handwerk und Forschung. Er hat einen Lehrauftrag an der TU-Wien, Doktortitel in technischen Wissenschaften und einen Gewerbeschein für Elektromaschinenbau. Mit seinem Architekturbüro bewegende Architekturmanufaktur konzipiert, entwickelt und baut er bewegliche Kunstinstallationen. 

 „Viele Strategien den Klimawandel umzukehren, sind bereits vorhanden. Nicht selten scheitert es an der Umsetzung“ meint Müller und fragt: „wie schafft man das grundlegende Vertrauen in die Tatsache, dass jeder ein Teil der Lösung ist?“ Als „effektive Methode zur Motivationssteigerung und zur Verhaltensänderung“ schlägt er eine seit Jahren im Marketing angewendete Methode vor: Gamification. Hier das Ergebnis:

Die Ergebnisse des zweiten Diskussionsblocks werden in Kürze bereit gestellt.

Links:

Jahrestagung Teil 2: Ein grüner Deal – für Österreich, Europa und international!

Vorbericht zur Jahrestagung: Wirtschaft und Politik in Zeiten des Klimawandels

Essay: Neue Chance für globale Klimapolitik?